Woran arbeitet eigentlich ... RIRA?

Oktober 2021

Film "Das Projekt RIRA" | Länge 2"10' | Realisation Ute Seitz // Philipp Offermann | PRIF 2021

Bestärken Bedrohungswahrnehmungen und gesellschaftliche Polarisierungsprozesse eine Radikalisierungsspirale zwischen Muslim:innen und Nichtmuslim:innen? Mit dieser Frage beschäftigt sich das Forschungsprojekt RiRa (Radikaler Islam vs. Anti-Radikaler Islam) und erarbeitet mögliche Präventivmaßnahmen gegen Radikalisierungsprozesse. In diesem Interview berichten Prof.in Dr.in Susanne Pickel, Prof.in Dr.in Riem Spielhaus und Prof. Dr. Gert Pickel über Perspektiven, aktuelle Prozesse und die pandemischen Herausforderungen in ihrer Forschung.

Womit beschäftigt sich Ihr Projekt?

Susanne Pickel: Mit RiRa wollen wir eine Radikalisierungsspirale erfassen. Dabei beginnen wir auf der Ebene von Bedrohungsgefühlen, die sich dann über wechselseitige Vorurteile, Diskriminierung und Exklusionsprozesse bis hin zu Gewaltakten steigern können. Am Ende steht die Abwendung von demokratischen Prozessen. Diesen Radikalisierungsdynamiken versuchen wir uns zu nähern. Gleichzeitig möchten wir kollektive Präventivmaßnahmen erarbeiten, die den Prozessen entgegenstehen, so dass wir auch Ausstiege aus dieser Spirale befördern können.

Sie selbst sind nicht nur verantwortlich für das Gesamtprojekt RiRa, sondern leiten auch eine Teilforschung. Worum geht es dabei?

Susanne Pickel: Mein eigener Schwerpunkt ist die politische Kulturforschung. Dabei beschäftige ich mich mit Einstellungen zu politischen Objekten. Das heißt, ich frage mich spezifisch: Wird die Demokratie in Deutschland als anerkennungswürdig empfunden und akzeptiert man sie auch als das beste System für unsere Gesellschaft? Gibt es ein grundlegendes Vertrauen in Parteien und Politiker:innen? Wie steht es um die Demokratiezufriedenheit, also um die Leistungsfähigkeit der Regierung? Wir beobachten zum Beispiel, dass sich ein Großteil der Wähler:innen in der AfD gar nicht mehr mit der Demokratie identifizieren kann. Dies deutet darauf hin, dass mit der Radikalisierung eine Abwendung von der Demokratie einhergeht. In meinem Teilprojekt untersuche ich, wie im Verlauf der Radikalisierungsspirale diese Abwendung immer stärker wird. Ich frage danach, warum das so ist und möchte herausfinden, wie man dem entgegenwirken könnte.

Neben der Demokratieforschung umfasst RiRa noch drei weitere Teilprojekte. Welche anderen Perspektiven werden darin aufgegriffen?

Riem Spielhaus: In meinem Teilprojekt sichten wir in vier Fächerclustern Schulbuchinhalte in Bezug auf Islam, Geografie, Geschichte, Politik und Sozialkunde. Unsere Leipziger Kolleg:innen schauen sich die Religions- und Weltanschauungsbücher an. Gemeinsam machen wir eine Bestandsaufnahme zu bestimmten Mustern und Trends. Speziell achten wir darauf, wie oft und in welchen Kontexten und Rahmungen Islam thematisiert wird. Bisher konnten wir zum Beispiel feststellen, dass die Thematisierung von Islam in Politikschulbüchern zwischen 2011 und 2019 eklatant zugenommen hat.

Gert Pickel: Bei uns stehen Bedrohungsgefühle im Zentrum. Konkret untersuchen wir Radikalisierungstendenzen, die im Rechtsextremismus in Bezug auf Muslim:innen festzustellen sind. Grundlegend ist dafür eine empfundene Bedrohung durch Muslim:innen oder den Islam.

Diese Bedrohungsgefühle können auch zentrale Erklärungen für die Radikalisierung aus dem Rechtspopulismus in den Rechtsextremismus liefern. Speziell forschen wir aber danach, wie Radikalisierungsprozesse - insbesondere bei Jugendlichen - verlaufen.

Wie ist Ihre Forschungsarbeit aufgebaut? In welchen Prozessen befinden Sie sich aktuell?

Susanne Pickel: Mein Teilprojekt integriert ein Wissenschafts-Praxis-Tandem, das sehr intensiv mit Schulen zusammenarbeitet und dort eine Demokratiestunde etablieren möchte. Diese Stunde soll von möglichst vielen Lehrkräften und Schüler:innen zusammen gestaltet und nach Ende des Projektes auch weitergeführt werden. Ziel ist ein nachhaltiger Einstieg in Demokratisierungsprozesse und die Vermittlung von Demokratie an Schulen.  Zur Entwicklung dieses Formats haben wir verschiedene Interviewarten initiiert. Wir sprechen mit Aussteigern aus der radikalen Szene und mit Menschen, die vielleicht gerade dabei sind, sich zu radikalisieren. Wir sprechen aber auch mit ganz normalen Schülerinnen und Schülern. Mithilfe mehrerer Diskussionen wollen wir nachvollziehen, warum sich Schülerinnen und Schüler radikalisieren - oder warum sie das nicht tun. 

Begleitend arbeiten wir mit einer repräsentativen Befragung, die wir in Kooperation mit der Leipziger Autoritarismus Studie durchführen.

Riem Spielhaus: Schon aus einer früheren Zusammenarbeit mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin konnte wir Workshops zum Thema Islam anbieten für Redakteur:innen, Herausgeber:innen und Autor:innen aus Schulbuchverlagen.  In diesem Jahr haben wir uns mit Bildern des Islams und über den Islam in visuellen Darstellungen beschäftigt. So konnten wir Stereotype und ideellen Vorstellungen vom Islam diskutieren. Damit stehen wir vor der Aufgabe, zu erfassen was die Herausforderungen für die Bildung, Medien und Verlage – hinsichtlich der Darstellung des Islams- sind und wie man denen begegnen kann. Gleichzeitig wollen wir aber auch eine Sensibilisierung für die Wirkung von Bildern schaffen, um aufzuzeigen inwiefern diese zum Teil problematische Inhalte transportieren.

Gert Pickel: In der Vorarbeit meines Projekts haben wir Sekundäranalysen ausgewertet, darunter auch die Leipziger Autoritarismus Studie von 2020. Dadurch wollten wir Ideen und erste Ergebnisse sammeln, die wir nun genauer prüfen werden. Aktuell konstruieren wir einen neuen Fragebogen. Das Ziel davon ist eine Umfrage unter Muslim:innen durchführen, um zu sehen, was deren Bedrohungswahrnehmungen sind und ob sie sich von Rechtsextremen und rechten Diskursen oder Diskursen überhaupt bedroht fühlen.

Ihre Forschung startete inmitten der Corona-Pandemie. Was waren besonderen Herausforderungen während dieser Zeit für Sie?

Susanne Pickel: Die Corona-Zeit hat die zeitliche Planung unserer Interviews ziemlich durcheinandergeworfen. Eigentlich hatten wir geplant, die Interviews vor den Sommerferien in Nordrhein-Westfalen durchzuführen. Das haben wir jetzt auf den Herbst verschoben.

Gerade mit Schüler:innen lassen sich die Befragungen nicht per Zoom durchführen, wenn wir zusätzliche Erfahrungen vermitteln und authentische Ergebnisse erzielen möchten.

Riem Spielhaus: Für uns war es war nicht ganz einfach, sich in so einem großen Projekt kennenzulernen. Es ist natürlich anstrengender vor dem Bildschirm. Man lernt sich nicht umfassend in seiner ganzen Persönlichkeit kennen, aber konzentriertes Arbeiten war trotzdem möglich. Es ist gut, dass wir und jetzt auch mal wieder in Präsenz begegnen können, aber ich glaube, dass wir bestimmte Formate vielleicht sogar mitnehmen und einige Dinge auch weiterhin online durchführen werden.

Gert Pickel: Also für Forscher:innen, die zum Teil Schreibtischtäter:innen sind, ist vieles während der Pandemie weiter umsetzbar gewesen. Aber gerade Befragungen fanden während der Corona-Zeit unter besonderen Bedingungen statt. Es ist sehr schwierig herauszubekommen, ob es dabei einen Corona-Effekt gibt oder nicht. Diese Frage wird uns auch im nächsten Jahr weiter beschäftigen.