Oktober 2023
Film "Das Projekt D:ISLAM" | Länge 2"06' | Realisation Ute Seitz // Philipp Geyer | PRIF 2023
Özgür Özvatan: Wir möchten herausfinden, ob sich ein „Deutscher Islam“ in der Bundesrepublik konstituiert und wie er sich gestaltet. Diesen „Deutschen Islam“ versuchen wir aus verschiedenen Drucksituationen zu verstehen. Dabei betrachten wir einerseits, wie durch islamistischen Extremismus Druck auf muslimische Menschen und Gemeinden ausgeübt wird. Auf der anderen Seite gibt es Druck durch antimuslimischen Rassismus.
Özgür Özvatan: Das ist eben die ganz große Frage: Was können wir als „Deutschen Islam“ identifizieren und definieren? Im Projekt verstehen wir den „Deutschen Islam“ als eine Verhandlungsmasse, als gesellschaftlichen Aushandlungsprozess um etwas, das wir als Islam oder „muslimisch sein“ in Deutschland diskutieren.
Özgür Özvatan: Wir widmen uns einerseits den Phishing-Strategien islamistischer Akteur:innen, und andererseits der Gemeindearbeit, also den Defense-Strategien, auf solche Bedrohungslagen. In den verschiedenen Modulen beschäftigen wir uns mit muslimischen Frauenorganisationen, mit queer-muslimischen Menschen und Organisationen. In unserer Arbeit haben wir gemerkt, dass bereits eine wissenschaftliche Sättigung im Offline-Bereich vorliegt. Deswegen setzen wir einen weiteren Fokus klar auf die Onlinewelt, auf die neuen sozialen Medien und speziell auf TikTok.
Özgür Özvatan: Wir haben uns mit Muslim Content Creators beschäftigt, um einerseits das Phishing und andererseits aber auch das Community-Building zu verstehen, das auf TikTok stattfindet. Dabei haben wir herausgefunden, dass „Generation Islam“ als islamistisch extremistischer Account nicht versucht, die Menschen zu überzeugen, sondern zu bereits überzeugten Menschen spricht. Das ist ein Erkenntnisgewinn, da in der Literatur viele von ersterem ausgegangen sind. Doch wir konnten sehen, dass auf der sprachlichen und erzählerischen Ebene keine Überzeugungsarbeit geleistet wird.
Özgür Özvatan: Wir müssen versuchen, verschiedene Plattformen gemeinsam zu denken und die Kommunikation plattformübergreifend und auch accountübergreifend zu verstehen. Es ist eben nicht ein Account auf einer Plattform, der radikalisiert, sondern verschiedene Accounts, die gezielt oder nicht gezielt gemeinsam in der Radikalisierung wirken.
Özgür Özvatan: Dieser Nexus aus online und offline ist weiterhin eine Blackbox, die es uns erschwert, kausale Mechanismen zu erkennen. Wir haben experimentellen Designs entwickelt, um zu schauen, ob sich beim Medien-Konsum etwas auf der Einstellungsebene verändert. Wichtig ist dabei, dass diese Einstellungsveränderungen noch nicht bedeuten, dass in der Offline-Welt irgendwelche Taten folgen.
Özgür Özvatan: Wir verstehen den „Deutschen Islam“ wie gesagt als Verhandlungsmasse, also etwas, das nicht abgeschlossen ist. Und da sehen wir, dass dieser Aushandlungsraum in den vergangenen Jahren vielschichtiger und differenzierter geworden ist. Viele neue Akteur:innen können über den antimuslimischen Rassismus Druck erzeugen und in den politischen Diskurs einsteigen. Das ist ein Unterschied zu vor 20 Jahren — heutzutage kann die Diskussion über den „Deutschen Islam“ nicht ohne Muslim:innen geführt werden.
Özgür Özvatan: Was wir beobachten ist, dass die großen Community-Akteur:innen noch zu behäbig sind, ihre Onlinepräsenz auf den neuen sozialen Medien aktiv zu gestalten und eben auch zu intervenieren. Die meisten Muslim Content Creators sind nicht erkenntlich in Vereins- oder Verbandsstrukturen eingebettet. Das heißt, das sind zufällige Leute, die auf TikTok Influencer:innen werden und über Alltagspolitik reden. Hier könnten tatsächliche Community-Akteur:innen eintreten, um alltägliche und auch politische Aspekte aus verschiedenen islamischen Traditionen heraus einzuordnen.
Özgür Özvatan: Fragen der Zugehörigkeit zahlen darauf ein, wie anfällig eine Person für Radikalisierung ist und dafür, von anderen Identitätsangeboten gephisht zu werden. Wir müssen schauen, dass wir unser Identitätsangebot pluraler ausgestalten und dass wir die Rate von antimuslimischen Realitäten in dieser Gesellschaft minimieren. Wenn wir diesen Menschen bessere Identitätsangebote machen, entziehen wir den islamistischen Akteur:innen die Grundlage, um antimuslimische Realitäten für eine eigene extremistische Rhetorik zu pervertieren.
Özgür Özvatan: Wir haben uns vor allem mit der Frage beschäftigt, welche Rolle muslimische Frauenorganisationen für die bundesdeutsche Zivilgesellschaft haben. Da beobachten wir, dass sie sich eben nicht nur mit der Frage des Muslimisch-Seins beschäftigen, sondern auch bundesweit Gleichstellungsakteur:innen sind und postmigrantische Bündnisse schmieden, auch mit nichtmuslimischen Organisationen. Sie sind also zentrale Allianzpartnerinnen hinsichtlich gesamtgesellschaftlicher Fragen und schaffen zivilgesellschaftliche Angebote für die Themen Gleichstellung, Migration und Diskriminierung, aber auch in allgemeinen sozialpolitischen Fragen. In Bezug auf den „Deutschen Islam“ können wir sagen, dass die Fragen, mit denen sich muslimische Frauenorganisationen beschäftigen und allgemein die Frage: „Was ist der ‚Deutsche Islam‘?“ weitere Türen zu Themen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland öffnen.