Leitung:
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen:
Laufzeit: 11/2020 - 01/2025
Webseite: https://www.forschungsverbund-deradikalisierung.de
Das Projekt Distanz beschäftigte sich mit der Fragestellung, welche individuellen und strukturellen Faktoren Deradikalisierungs- und Distanzierungsprozesse beeinflussen. Die Erfahrungen von Praktiker:innen aus Beratungsstellen der Präventionsarbeit wurden durch Interviews systematisch erfasst. Interessant war dabei ihr Wissen zur Entstehung von Radikalisierung (Annäherungsprozesse) bei jungen Menschen, insbesondere aber zur gelungenen Distanzierung von islamistischem Extremismus. Ergänzend dazu analysierte das Projekt Biografien von inzwischen deradikalisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
In einem zweiten Schritt erforschte Distanz, welche pädagogischen Präventionsmaßnahmen oder -projekte besonders erfolgreich sind, um Radikalisierung entgegenzuwirken und Distanzierung zu fördern. Im Fokus der Forschung standen strukturelle Ansätze, die im Kontext der Familie, in Schulen, Arbeitsstätten und in (religiösen) Einrichtungen angewendet werden können. Zusätzlich begleitete und evaluierte das Projekt Distanz ein primärpräventives Projekt und veröffentlichte dazu Evaluationsberichte. Es sichtete und systematisierte darüber hinaus bisherige Ansätze und Angebote der Deradikalisierungsarbeit. Ergänzend dazu erfolgten quantitative Erhebungen, um die Bedarfe und Herausforderungen von Lehrkräften und Sozialarbeiter:innen im schulischen Umfeld zu erfassen.
Auf Basis der Forschungsergebnisse erarbeitete Distanz gemeinsam mit Praxispartner:innen Aus- und Fortbildungskonzepte für Fachkräfte sowie Workshops und Seminarkonzepte für Sozialarbeitende und Lehrkräfte in Ausbildung.
Hauptergebnisse
Insgesamt zeigte sich, dass von Beratungsangeboten begleitete Wege aus der Radikalisierung durch vielfältige individuelle wie strukturell-gesellschaftliche Faktoren beeinflusst werden. Es ist wesentlich, die Rolle sozioökonomischer, sozialräumlicher und institutioneller Benachteiligungen bei der Entstehung von Problemen zu verstehen. Strukturelle Diskriminierung von Muslim:innen kann Deradikalisierungsprozesse beispielsweise erheblich stören. Entscheidende Stellschrauben in der Beratung liegen darin, den Klient:innen gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und ihre individuelle Lebenssituation zu stabilisieren.
Auf Basis der Interviews mit Akteur:innen der Deradikalisierungsarbeit identifiziert die Distanz-Studie verschiedene Beratungsansätze, die jeweils mit unterschiedlichen Interaktionstypen der Beratenden einhergehen. Einige Ansätze stützen sich vor allem auf religiöse Expertise. Andere setzen auf emotionale Bindung, gleichberechtigte Interaktion, Anerkennung oder die Unterstützung bei der Alltags- und Lebensbewältigung setzen. In Deutschland stellen sowohl zivilgesellschaftliche als auch staatliche Sicherheitsbehörden Beratungsangebote bereit. Ein zentraler Befund ist, dass die institutionell verankerten Problemdeutungen und Interventionsstrategien die Handlungsorientierungen in der Beratung beeinflussen.
Die quantitativen wie qualitativen Erhebungen im Schulkontext zeigen: Lehrkräfte und Sozialarbeiter:innen stehen vor vielfältigen Konflikten im Kontext religiöser Praxis und (vermeintlicher) islamistischer Radikalisierung. Die Distanz-Studie zeigt, dass Probleme und Herausforderungen teils dramatisiert, aber manchmal auch ignoriert oder bagatellisiert werden. Das führt zu Unsicherheiten im Umgang mit betroffenen Schüler:innen und kann adäquate Schutzmaßnahmen erschweren. Die Erkenntnisse des Projekts unterstreichen einen dringenden Fortbildungsbedarf für Pädagog:innen und Sozialarbeitende im Umgang mit religiöser Vielfalt und islamistischer Radikalisierung.
Film "Das Projekt Distanz" | Länge 2"01' | Realisation Ute Seitz // Philipp Offermann | PRIF 2021