Leitung:
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen:
Laufzeit: 03/2021 - 12/2025
Der Forschungsschwerpunkt des Projekts „Ressentiment“ lag auf der Erforschung des kulturellen Bodens, auf dem muslimische Radikalisierung gedeihen und Resonanz finden kann. Es ging der Frage nach, wie die Affektlage des Ressentiments unter Muslim:innen mit Prozessen der Radikalisierung zusammenhängen. Die Affektlage des Ressentiments bezeichnet dabei die Verfestigung eines Gefühls der Kränkung, in dem sich negative soziale Erfahrungen verselbständigen und Verbesserungen der Lage entwertet werden. Es drückt sich in Polarisierungen zwischen den Bevölkerungsgruppen entlang ethnischer und religiöser Grenzziehungen aus. Negative Erfahrungen wie Diskriminierung im Alltag werden durch das Ressentiment von ihrem pragmatischen Sachzusammenhang abgekoppelt und gewinnen eine Eigendynamik, die gegen positive Erfahrungen mehr oder weniger resistent ist. Um herauszuarbeiten, was das Ressentiment und seine Folgen charakterisiert, untersuchte das Projekt auch ressentimentfreie Selbst- und Fremdwahrnehmungen.
Das Projekt bestand aus einem quantitativen und einem qualitativen Teil. Eine repräsentative Befragung erfasste zum einen die Ausprägung und Verbreitung von Ressentiment und dessen Beziehung zu Radikalisierung unter muslimischen Migrant:innen, die in Deutschland leben. Zum anderen wurden in verschiedenen muslimischen Gruppen gepflegte Wahrnehmungsmuster und Einstellungen etwa zur nichtmuslimischen Umwelt auf ihre ressentimentalen Gehalte hin analysiert. Dabei wurden Gruppen mit starken und weniger ausgeprägtem Ressentiment kontrastiert, um Unterschiede in der Wahrnehmung von Diskriminierung und deren Verarbeitung herauszustellen.
Sowohl die qualitativen als auch die quantitativen Befragungen haben ergeben, dass bei Muslim:innen in Deutschland Gefühlslagen vorliegen, die sowohl durch Zufriedenheit mit dem Leben in Deutschland als auch durch Unzufriedenheit gekennzeichnet sind. Reaktionen auf und Beschreibungen von Diskriminierungs- und Kränkungserfahrungen sind mehrheitlich differenziert. Sie gehen tendenziell mit Haltungen und Positionen der Gelassenheit und Souveränität einher. Dies betrifft vor allem die persönliche bzw. situationsgebundene Ebene. Weniger Gelassenheit und Souveränität zeigen sie, wenn es um stellvertretende bzw. nicht-situationsgebundene Diskriminierungsnarrative geht. In einem engen Zusammenhang steht damit die Herausbildung einer Affektlage des Ressentiments. Die persönliche Diskriminierungserfahrung spielt hier keine signifikante Rolle; anders verhält es sich mit stellvertretenden Diskriminierungsnarrativen, die sich auf die muslimische Gemeinschaft beziehen. Sie tragen erheblich zur Entstehung einer Affektlage des Ressentiments bei. Und schließlich zeigen die Ergebnisse, dass das Ressentiment einen zentralen Anteil an der Radikalisierung mit Gewalt und ohne Gewalt nimmt.
Bei Diskriminierungs- und Kränkungserfahrungen ist es wichtig, gezielt nach dem konkreten Problem zu fragen. Durch Erzählungen und Konkretisierungen können unterschiedliche Interpretationen und Perspektiven sichtbar gemacht und differenziert werden. Zugleich sollte die innerislamische Kritikfähigkeit gestärkt werden, um reflexive Auseinandersetzungen mit religiösen und gesellschaftlichen Fragen zu fördern. Ein offener, nicht-fundamentalistischer muslimischer Glaube kann dabei als resilienzfördernde Ressource dienen. Schließlich gilt es, Opfernarrative kritisch zu hinterfragen, um einseitige Deutungsmuster aufzubrechen und differenzierte Selbst- und Fremdwahrnehmungen zu ermöglichen.
Film "Das Projekt Ressentiment" | Länge 1"52' | Realisation Ute Seitz // Shaimaa Abdellah | PRIF 2024