Woran arbeitet eigentlich... KURI?

Oktober 2021

Film "Das Projekt KURI" | Länge 1"51' | Realisation Ute Seitz // Philipp Offermann | PRIF 2021

„Seit 9/11 wurden zahlreiche Sicherheitsgesetze verabschiedet, die nicht nur aber auch durch den Umgang mit islamistischen Aktivitäten begründet waren. Bislang gibt es in Deutschland jedoch keine systematischen, langfristig angelegten Studien, die diese Entwicklungen analysieren“, sagt Dr. Julian Junk. Das wollen er und Dr. Martin Kahl mit ihren Frankfurter und Hamburger Forschungsteams im Projekt KURI ändern und erste Erkenntnisse dazu liefern, welche Gegenmaßnahmen zum radikalen Islam in Politik und Gesellschaft ergriffen werden. Im Interview berichten beide über Diskursverschiebungen in der Sicherheitspolitik, erste Erkenntnistrends und den praxisorientierten Mehrwert ihrer Forschung.

Im KURI-Projekt erforschen Sie, wie Maßnahmen gegen den radikalen Islam mit bestimmten Anforderungen aus der Gesellschaft zusammenhängen. Was bedeutet das?

Martin Kahl: Im Mittelpunkt des KURI-Projekts steht die Frage danach, welche Faktoren den gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem radikalen Islam in den letzten 20 Jahren geprägt haben. Wir fragen nach gesellschaftlichen und politischen Problemen, Wahrnehmungen und Lösungskonzepten, die von Verwaltungs- und Sicherheitsbehörden, Politik und Zivilgesellschaft angestrebt worden sind.
 
Julian Junk: Seit 9/11 ist ein Trend in der Ausweitung und Intensivierung von Sicherheitsgesetzgebung zu beobachten. Bislang gibt es in Deutschland jedoch keine Studien, die diese Entwicklung von Sicherheitsmaßnahmen und Beschränkung von Freiheitsrechten analysieren. KURI soll diese Forschungslücke füllen. Dabei lautet die Leitfrage, der wir nachgehen: Wann wird welche Form von Gegenmaßnahme gegen den Islamismus und andere Extremismen ergriffen – und wie wird sie begründet?

Welche Sicherheitsmaßnahmen gab es denn nach 9/11 konkret in Deutschland?

Martin Kahl: Die ergriffenen Maßnahmen nach 9/11 betreffen insbesondere die Gesetzgebung. Ideen und Debatten haben sich dabei als wiederkehrend erwiesen. So wurden zwar Gesetze manchmal ausgesetzt aber dann wiedereingeführt, weil sich die Politik nach Anschlägen dazu aufgerufen gefühlt hat, auf Altbekanntes zurückzugreifen. Ein Beispiel dafür sind die Kompetenzerweiterungen der Sicherheitsbehörden in den letzten 20 Jahren. Diese umfassen neben weiteren Formen der Überwachung beispielsweise die Datenvorratsspeicherung.

Julian Junk: Zusätzlich beobachten wir Wellen von Verschärfungen dieser Maßnahmen. Wir beobachten aber auch einen kontinuierlich stärker werdenden Aktivismus und die Förderung von zivilgesellschaftlichen Trägern, die ein großer Bestandteil der Umsetzung von Präventivmaßnahmen gegen den radikalen Islam sind. Für uns ist es sehr wichtig, diese Vielfalt im gesellschaftlichen und politischen Umgang mit dem radikalen Islam auch in unserer Forschung abzubilden. Deshalb streben wir eine enge Zusammenarbeit mit Projektträgern in der Zivilgesellschaft an, binden sie in Szenarien und Workshops ein und versuchen die Konfigurationen – das K im Akronym KURI – dieser ganzen Maßnahmen darzustellen.

Wie gehen Sie dabei vor? Lassen sich bereits erste Hypothesen formulieren?

Martin Kahl: Im KURI-Projekt fertigen wir Langzeitstudien über islamistische Aktivitäten an. Diese sollen den Hintergrund bilden, vor dem wir die konkreten Gegenmaßnahmen betrachten. Dabei geht es vor allem um den Modus Operandi der letzten 20 Jahre und darum, wie Politik und Gesellschaft reagiert haben. Gab es sofort direkte Reaktionen? Waren bei den Reaktionen Verzögerungen zu beobachten?

Julian Junk: Um unser Arbeitsprogramm umzusetzen, nutzen wir offene Datenquellen aus der Medienberichterstattung, der Gesetzgebung, Verlautbarungen und Debatten, die man öffentlich nachzeichnen kann, die es aber auch systematisch zu erschließen gilt. Unser Forschungsprojekt ergänzt diese um Primärdaten, die wir selbst über Interviews mit Entscheidungsträger:innen, mittels Szenarien-Workshops zur Erhebung von Reaktionsmustern und durch Umfrage-Experimente entwickeln.

Damit schaut sich KURI neben externen und öffentlichen Komponenten auch interne Faktoren an. Wir fragen also auch: Wann wird eigentlich ein Handlungsdruck gespürt? Wie werden intern in einer Behörde Entscheidungen vorbereitet? Und wie wird im Vorfeld darüber nachgedacht?

Martin Kahl: Inzwischen lassen sich erste Trends erkennen. Was sich dabei besonders abzeichnet, ist die Vorfeldstrafbarkeit in der Gesetzgebung. Diese beschreibt den Versuch, möglichst weit im Vorfeld einer strafbaren Handlung Informationen zu sammeln und vorbereitende Aktivitäten unter Strafe zu stellen. Damit einher geht die Ausweitung der Kompetenzen von Sicherheitsbehörden in Bezug auf das Sammeln und Auswerten von Daten.

Was sich bisher aber nicht feststellen lässt, ist eine direkte Kopplung von Aktion und Reaktion. Weil Gesetze Zeit brauchen, bis sie erlassen und modifiziert werden – oder auch, weil sie sich als nicht verfassungskonform erweisen und neu verhandelt werden müssen, kann kein direkter Zusammenhang von Anschlägen und neuen Gesetzen registriert werden.

Ihr Material bezieht sich vor allem aus dem Umgang mit dem radikalen Islam. Sie suchen aber parallel auch nach Erkenntnissen, die sich auf rechtsextreme Milieus oder rechtsextreme Gewaltereignisse übertragen lassen. Zeichnet sich hier schon ein Zusammenhang ab?

Julian Junk: Der Fokus von KURI liegt vorrangig auf dem radikalen Islam. Obwohl wir Rechtsextremismus nicht im gleichen Maße untersuchen, schließen wir ihn nicht aus. Grundsätzlich ist es uns ein forschungspolitisch wichtiges Anliegen, nicht zu sehr auf einen Phänomenbereich fokussiert zu sein, weil es einerseits Zusammenhänge gibt und Rechtsextremismus in Deutschland andererseits das deutlich größere gesellschaftspolitische Problem darstellt.

Inwiefern können sich Ihre Forschungsergebnisse für politische Entscheidungsträger:innen und für die Präventionspraxis als nützlich erweisen? Versprechen Sie sich vielleicht neue Handlungsansätze?

Martin Kahl: Es wäre ein schönes Ziel des KURI-Projekts, wenn es uns gelingen würde, über das Aufzeigen von bestimmten Trends oder Blindstellen bei der Entscheidungsfindung reflektieren zu können, wie man Verfahren verbessern kann und dies den Entscheidungsträger:innen näherzubringen.

Julian Junk: Für die Präventionspraxis ist KURI vielleicht in zweierlei Hinsicht relevant: Erstens beziehen wir ihre Maßnahmen und Aktivitäten in die Analyse ein und geben damit der ganzen Anstrengung in diesem Gebiet eine Stimme. Zweitens könnte das Verständnis darüber, wie über Förderstrukturen für die Präventionslandschaft entschieden wird, auch Möglichkeiten bieten, diese Prozesse mitzugestalten oder stärkeren Einfluss darauf zu nehmen. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass im Dialog über Maßnahmenmodelle, die später in Regelstrukturen überführt werden sollen, noch einmal geprüft werden kann, inwiefern diese auch Lebensnähe zur pädagogischen Arbeit in der Fachpraxis besitzen und wie sie gegebenenfalls besser aufgestellt werden können.