Woran arbeitet eigentlich ... OKAI?

Mai 2023

Film "Das Projekt OKAI" | Länge 2"12' | Realisation Ute Seitz // Philipp Offermann | PRIF 2023

Wie können muslimische Verbände auf Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund reagieren? Mit dieser Frage befasst sich das Forschungsprojekt „Optimierte Krisenkommunikation nach Anschlägen mit islamistischem Hintergrund in Deutschland“ (OKAI). Im Interview mit RADIS beschreibt Prof. Sabrina Hegner das Vorgehen des Forschungsprojektes und gibt praxisnahe Tipps für die Krisenkommunikation muslimischer Verbände.

Worum geht es beim Forschungsprojekt OKAI?

Sabrina Hegner: In unserem Forschungsprojekt OKAI geht es vor allem um Kommunikationsstrategien, die muslimische Verbände nutzen können, um negativen Ressentiments nach Terroranschlägen mit islamistischem Hintergrund entgegenzuwirken. Die Frage ist, ob und wie sich muslimische Verbände positionieren sollten.

Nach islamistischen Anschlägen gibt es vermehrt Anfeindungen von Muslim:innen. Vor welchen Konflikten stehen muslimische Gemeinden?

Sabrina Hegner: Wie wir in den Workshops mit Gemeinden gehört und in der Forschung gesehen haben, stehen Gemeinden vor der Problematik, dass sie zum Teil unterschiedliche Empfehlungen bekommen und nicht wissen, wie sie reagieren sollen - ruhige Zurückhaltung oder doch klare Positionierung? Tatsächlich ist das in der bisherigen Forschung auch noch nicht direkt adressiert worden.

Ein konsistentes Ergebnis aus den empirischen Studien unseres Projekts ist, dass eine Positionierung sehr sinnvoll ist. Die Reaktion muslimischer Verbände hat eine positive Wirkung. Wir empfehlen also eine klare Positionierung.

Wie sind Sie methodisch vorgegangen?

Sabrina Hegner: In den Kommunikationswissenschaften gibt es bereits intensive Forschung zu Krisenkommunikation, die sich jedoch bisher vor allem auf Wirtschaftsunternehmen bezieht. Die Kommunikation von religiösen Verbänden stellt eine Forschungslücke dar. Wir haben uns angeschaut, ob diese kommunikationstheoretischen Ansätze auch auf muslimische Verbände übertragen werden können.

Wir haben einerseits Stellungnahmen von muslimischen Verbänden nach tatsächlichen Anschlägen mit islamistischem Hintergrund analysiert und andererseits in Experimenten die Wirkung auf die deutsche Bevölkerung untersucht. Dabei haben wir betrachtet, welche Aspekte in Stellungnahmen besonders häufig genannt werden und wie das mit den Empfehlungen der Theorie vereinbar ist. In mehreren Versuchsreihen haben wir die Texte der Stellungnahmen angepasst, an unterschiedlichen Versuchsgruppen getestet und die Reaktionen darauf analysiert.

Könnten Sie noch etwas zum Versuchsaufbau sagen?

Sabrina Hegner: Wir haben Zeitungsausschnitte designt, in denen über einen fiktiven Anschlag in Berlin berichtet wurde. Diese Zeitungsausschnitte enthielten unterschiedliche Stellungnahmen von Verbänden. Die Teilnehmer:innen wurden zufällig einer bestimmten Stellungnahme zugeordnet und haben nach dem Lesen einen Fragebogen ausgefüllt, der Einstellungen gegenüber dem Verband, Vorurteile gegenüber Muslim:innen und dem Islam enthielt. Durch die zufällige Zuordnung kann man sicherstellen, dass Unterschiede in den Angaben zu Einstellungen auf die Stellungnahmen zurückzuführen sind. Die Teilnehmer:innen wurden über ein Onlinepanel rekrutiert. So konnten wir über tausend Personen befragen, die im Hinblick auf relevante Charakteristika repräsentativ sind.

Welche Kommunikationsstrategien kommen für muslimische Verbände in Betracht?

Sabrina Hegner: Die Kommunikationsforschung weist auf vier Hauptstrategien hin. Die erste Strategie ist „das Leugnen“, in der man die Krise und die eigene Rolle in dieser verleugnet. In der zweiten Strategie, dem „Abschwächen“ spielt man die Relevanz der Krise herunter. Die dritte Strategie wird im Englischen als „Rebuild“ bezeichnet. Hier sagt man ganz klar: „Es tut uns leid, was hier passiert ist“. Man entschuldigt sich und zeigt eine gewisse Akzeptanz. Die vierte Strategie ist das „Bolstering“, eigentlich eine Zusatzstrategie, die meistens in Kombination mit den anderen genannt wird. Hierbei wird auf frühere positive Leistungen aufmerksam gemacht. Neben diesen aktiven Kommunikationsstrategien, gibt es noch das bewusste nicht-Antworten auf Anfragen im Sinne von „Kein Kommentar“.

Die Krisenkommunikationsforschung sagt voraus, dass „Rebuild“ die beste Methode ist. Allerdings lässt sich die Theorie nicht direkt auf muslimische Verbände übertragen, denn die muslimischen Verbände haben islamistische Terroranschläge nicht veranlasst und sind letztlich selbst Opfer in dieser Krise.

Unsere Experimente zeigen, dass die Stellungnahme „kein Kommentar“ die schlechteste Alternative ist. In solchen Fällen hat sich die Wahrnehmung des muslimischen Verbandes und von Muslim:innen im Allgemeinen deutlich ins Negative gewendet. Aber auch der komplette Verzicht auf eine Äußerung hat sich negativ ausgewirkt. Andersherum, haben wir nur minimale Unterschiede zwischen den verschiedenen aktiven Kommunikationsstrategien gefunden. Es ist also nicht so wichtig, welche Kommunikationsstrategie man wählt und was man sagt, solange muslimische Verbände ihre Abneigung gegenüber der Tat zum Ausdruck bringen und Empathie gegenüber den Opfern zeigen.

Wie stark hängt denn die Auswirkung einer Stellungnahme davon ab, mit welchen Voreinstellungen eine Person dieser begegnet?

Sabrina Hegner: Wir haben untersucht, ob sich andere Effekte der Krisenkommunikation ergeben, je nachdem, ob grundsätzlich eine positive oder negative Einstellung gegenüber Muslim:innen besteht. Einen Unterschied konnten wir jedoch nicht nachweisen. Wenn sich der muslimische Verband äußert, hat das immer einen positiven Effekt, egal ob die Teilnehmer vorher bereits eine negative oder eine positive Einstellung gegenüber Muslim:innen hatten. 

Sind Stereotypen dann gar nicht so stark verankert, wie man denken würde?

Sabrina Hegner: Man kann schon sagen, dass Stereotype stark verankert sind. Nur mit einer Stellungnahme kann man nicht jegliche Vorurteile gegenüber Muslim:innen ausradieren. Wenn aber muslimische Verbände mehr in Erscheinung treten, kann sich der positive Effekt von Stellungnahmen möglicherweise langfristig etablieren und so tatsächlich etwas für das Allgemeinbild der Muslim:innen tun.

Welche Rolle spielt eine kollektive Verantwortung, die Muslim:innen zugeschrieben wird?

Sabrina Hegner: Kollektive Schuldzuschreibungen korrelieren mit den Einstellungen gegenüber muslimischen Organisationen, Muslim:innen und Islam. Diese Zuschreibungen laufen automatisch ab und ziehen andere Effekte nach sich. So wird leider vermehrt der Schluss gezogen, dass ein Attentat auf dem muslimischen Glauben beruht und die Verantwortung ohne Differenzierung auf die muslimische Gesellschaft übertragen. Wenn sich Verbände an Diskursen beteiligen, kann daran durchaus gerüttelt werden. So werden wir aus dem vorherigen, automatischen Denken herausgeholt und reflektieren bewusst über Zuschreibungen. Wenn dies vermehrt auftritt, kann das Stereotypen entgegenwirken.

Spricht das dafür, in diesen doch sehr anstrengenden Dialog mehr Kraft zu setzen?

Sabrina Hegner: Dieser Dialog ist definitiv eine große Herausforderung für die Verbände. Prinzipiell müssten sie mehr geschult werden und auch professionelle Unterstützung dabei in Anspruch nehmen. Wenn das Prinzip verstanden wurde, wird der Prozess auch flüssiger. Diesen Prozess zu unterstützen, ist auch ein wichtiges Ziel unseres Projekts.

Wie kann man diese Idee in der Praxis in diese Verbände tragen?

Sabrina Hegner: Wir haben schon zu Beginn unseres Projektes mit einigen Verbänden Kontakt aufgenommen und vor Ort sehr offen über ihre Erfahrungen mit Krisenkommunikation gesprochen. Wir werden den Sommer nutzen, um mit unseren Ergebnissen in den vertieften Dialog mit den Verbänden zu gehen. Hierbei sind wir wirklich sehr an der Sichtweise der Verbände interessiert, da ja unsere Studien auch nur einen bestimmten Ausschnitt – die Reaktion der Mehrheitsgesellschaft – in den Blick genommen haben und die Krisenkommunikation von Verbänden sich ja auch zum Teil an die eigenen Mitglieder etc. richtet.

Wir würden daher sehr gern gemeinsam mit Verbänden überlegen, welche Statements geeignet sind, um in Krisensituationen den unterschiedlichen Adressaten gerecht zu werden. Wir wissen, dass das eine sehr schwierige Aufgabe ist, aber wir glauben, dass wir ein paar nützliche Hilfestellungen anbieten können. 

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